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Und? Schläft es schon durch?

Zum Thema Schlaf hören wir Eltern die meisten Fragen, die meisten Tipps. Nicht nur von Verwandten, sondern ungefragt von jedem. Der Physiotherapeutin, die gerade deinen Nacken geraderückt, der ehemaligen Lehrerin, die zufällig in der Nachbarschaft wohnt, Arbeitskollegen und Kolleginnen, die alte Dame an der Bushaltestelle, die dein Kind beäugt…
„Und? Wie sind die Nächte?“, „Und? Schläft er schon durch?“, „Und? Wie klappt das Schlafen?“

 

Hm. Ich weiß nicht. Musstest du heute Nacht mal auf’s Klo? Hattest du Albträume? Durst? Hast unbequem gelegen? Hast du durchgeschlafen? Na, wie klappt’s denn so?

 

Es scheint, als wären alle der Meinung, ein Kind hätte doch zumindest nachts bitte keine Umstände zu machen. Wie eine Maschine soll es funktionieren. Und ja, es ist anstrengend. Aber ist es so anstrengend, dass uns jegliche Empathie verloren geht?

 

 

Ich erinnere mich noch an meine Kindheit, zwar natürlich nicht mehr an das Alter, in dem mein Sohn gerade ist, aber noch ziemlich gut an meine Gefühle und Gedanken als ich ungefähr 6 war.

 

Im Sommer war es am schlimmsten. Zu meiner Zubettgehzeit war es draußen noch hell. So viele Abenteuer riefen mich durchs Fenster zu sich heran. Ich sah Zwerge vor meinem Fenster her tanzen, malte mir die wildesten Geschichten aus, baute heimlich eine Treppe aus Büchern an mein Bett, um mich wie in einer Burg zu fühlen und hatte das Gefühl, ausgeschlossen zu sein von der Welt da draußen. Traurigkeit machte sich breit. Nie mehr würde ein Tag so schön, so spannend sein wie der heutige. Wenn ich jetzt schlafe, geht er vorbei. Wenn ich jetzt schlafe, kann ich nie wieder Abenteuer erleben. Ich rief nach Mama. Ich rief nach Mama, weil ich Durst hatte. Ich rief nach Mama, weil mein Kuscheltier aus dem Bett gefallen war, weil ich nochmal zur Toilette musste, weil mein Zopf sich gelöst hatte, ich ein Taschentuch brauchte, meine Kassette umgedreht werden musste. Ich rief nach Mama. Und Mama kam. Immer wieder. Auch wenn ich all diese Dinge schon längst allein konnte. Mama kam. Zum fünften Mal, zum sechsten Mal, zum zwölften Mal. Und mit jedem Mal, wurde ich ein bisschen ruhiger. Mit jedem Mal konnte ich mich mehr entspannen.

 

 

Heute bin ich 25 Jahre alt und stellt euch vor, ich schlafe ohne die Hilfe meiner Mutter!

 

Aber auch heute erlebe ich Abende, an denen ich zu aufgekratzt bin, um zu schlafen. An denen mich irgendetwas wach hält, was ich nicht benennen kann. Das Licht auf der Straße ist zu hell, die Autos zu laut, mit Decke ist es zu heiß, ohne zu kalt, dann habe ich Durst, muss nochmal auf’s Klo, lege mich wieder hin. Nachts wache ich auf, habe schlecht geträumt. Mein Mann tröstet mich, macht das Licht an und hört mir zu. Manchmal stehen wir nochmal gemeinsam auf, weil es sich danach dann doch wieder leichter schlafen lässt. All das tut mir gut und andere würden sagen, wie schön es wäre, dass ich einen Mann habe, der dann so lieb zu mir ist.

 

Mein 7 Monate alter Sohn schläft jeden Mittag, jeden Abend auf dem Arm ein. Er ist ein Baby, dass tagsüber sehr aktiv ist, sich unglaublich viel bewegt und mit einer wahnsinnigen Neugierde ausgestattet ist. Ihm fällt es oft schwer, sich fallen zu lassen.  Manchmal schläft er binnen Sekunden nach seinem Fläschchen ein, manchmal ist es ein schier ewiges Tänzchen von Stunden. Ihn schreien zu lassen, wurde mir schon oft vorgeschlagen. Allein der Gedanke daran, hat mich unsagbar traurig gemacht. „Am Anfang ist es hart, aber sonst lernt er nie, sich selbst zu beruhigen.“

 


Für dieses kleine Wesen sind wir die Welt. Wir sind seine sichere Basis, sein Lagerfeuer, an dem er nicht gefressen wird. Dass wir in den sichersten Umständen seit Beginn der Menschheit leben, geschützt in 4 Wänden, fern von jedem Raubtier, kann er noch nicht wissen. Er weiß nur, dass er bei uns sicher ist. Mit jeder Sekunde, die wir ihn schreien lassen, nimmt sein Gefühl zu, allein gelassen worden zu sein, bis er schließlich vor Erschöpfung einschläft. Der Kopf erhitzt, der Körper ausgetrocknet von den vielen Tränen. Aber wehe, er wird nochmal wach, weil er Durst hat.

 

Nachdem ich viel Kritik darüber gelesen hatte, habe ich mir das Buch „Jedes Kind kann schlafen lernen“ mal auszugsweise zu Gemüte geführt- wirklich nur auszugsweise, zu mehr war ich nicht fähig. Daher ist das hier auch keine fundierte Rezension, sondern lediglich ein kleiner, aber prägender Eindruck. Ich zitiere:

 

      „Sehr häufig reicht Kindern die bloße Anwesenheit der Eltern oder der beruhigende Körperkontakt zu ihnen nicht. Sie verlangen zusätzlich noch Mamas Brust oder das Fläschchen. Entweder trinken diese Kinder nachts fläschchenweise Tee, Saft oder Milch, oder sie werden mehrmals pro Nacht gestillt. Wenn auch Ihr Kind sich angewöhnt hat, nachts hungrig oder durstig zu sein, sollten Sie es allmählich von seinen nächtlichen Mahlzeiten entwöhnen.“ (S. 92)

 

 

Okay. Das Kind wurde geboren und überlegte sich prompt zur boshaft intendierten Überstrapazierung der Nerven seiner Eltern, dass es sich jetzt mal angewöhnt, normale körperliche Bedürfnisse zu haben. Shame on it. Ein Kind will Milch. Kaum zu glauben.           
Und wer verbietet einem Erwachsenen noch gleich, nachts etwas zu trinken, wenn er Brand hat?

 

Wieso ist Schlaf ein so vieldiskutiertes Thema? Es scheint, als würden Fleißkärtchen für Eltern und Kind verteilt werden, wenn 8 Stunden am Stück absolute Ruhe herrscht. Bei einem Kind, dass „brav“ ab 7 Uhr schläft, bedeutet das übrigens, dass es um 3 Uhr nachts wach wird. Dann hat es genug Zeit, sich in seinem hochentwickelten Gehirn fiese Pläne auszudenken, uns um unseren Schlaf zu bringen. Ironie off.

 

 

Bitte, liebe Eltern. Egal wie verzweifelt ihr seid, egal wie anstrengend es ist. Schreien lassen ist keine Option. Einschlafen, sich selbst beruhigen, runterfahren kann nur bedingt gelernt werden. Es wird immer wieder Tage geben, für kleine Kinder und große Erwachsene, an denen zu viel passiert ist, als dass wir ganz leicht in den Schlaf finden können. Wie froh sind wir selbst da, uns auf dem Sofa vor dem Fernseher einzukuscheln und eben noch nicht ins Bett zu gehen. Wie froh sind wir, dass jemand zuhört, wenn wir erst noch ein paar Geschichten loswerden müssen. Wie froh sind wir, dass uns jemand in den Arm nimmt und uns nicht allein lässt. Bitte entzieht das nicht euren Kindern. Vertrauen kann so viel schaffen.

 

 

Mein Sohn schläft nur auf dem Arm ein, ja. Aber die meiste Zeit seines Schlafes verbringt er in seinem eigenen Bettchen, bei offener Tür zu unserem Schlafzimmer. Manchmal möchte er noch nicht hingelegt, sondern fest umarmt werden. Manchmal rollt er sich direkt auf den Bauch, wenn wir ihn hinlegen, streckt alle Viere von sich und seufzt leise. Jede Nacht ist anders. Das ist vollkommen normal. Genauso normal ist es für uns, auf jedes Bedürfnis zu reagieren. Jedes Kind kann in den Schlaf begleitet werden.

 

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